Alles neu macht der Mai: Vom 8. bis 17. Mai findet das erste Pulse-Festival von und mit Víkingur Ólafsson statt. An zwei langen Wochenenden präsentiert der isländische Starpianist ein weitgespanntes Programm von Johann Sebastian Bach bis in die Gegenwart – «Time and Space» lautet das Motto.

Eröffnet wird die erste Pulse-Ausgabe mit einem einzigartigen Projekt: Erstmals arbeitet Ólafsson mit Olafur Eliasson zusammen. Für drei Aufführungen von Bachs Goldberg-Variationen in der beeindruckenden Piuskirche in Meggen entwickelt der dänisch-isländische Künstler eine spektakuläre neue Lichtinstallation.

Darüber hinaus ist Ólafsson mit Solostücken von Beethoven und Schubert zu erleben. Er spielt an einem einzigen Abend drei zeitgenössische Klavierkonzerte von Arvo Pärt, György Kurtág und Thomas Adès. Und er versenkt sich gemeinsam mit dem Danish String Quartet in die meditative Klangwelt von Morton Feldmans Piano and String Quartet. Mit dabei sind ausserdem das Mahler Chamber Orchestra und die junge Maestra Elim Chan. Patricia Kopatchinskaja interpretiert Alban Bergs Violinkonzert, und der Komponist Thomas Adès dirigiert sein Erfolgsstück America – A Prophecy.

« Spielplatz der Ideen »

Víkingur Ólafsson über ...

  • … Lucerne Festival Pulse

    Ich liebe es, Programme zu entwerfen, die vom Barock oder gar der Renaissance bis in die Gegenwart reichen. Für mich sind diese 300 oder 400 Jahre nur ein Wimpernschlag. In Bezug auf die Menschheitsgeschichte ist das rein gar nichts. Sie umfassen bloss einen winzig kleinen Teil der menschlichen Existenz auf der Erde. Und genauso verhält es sich mit der klassischen Musik — sie ist gar nicht alt! Bei Lucerne Festival Pulse werden wir zeigen, dass die Klassik noch in den Kinderschuhen steckt. Und dass Johann Sebastian Bach und György Ligeti zusammengehören.

    Der Puls steht für das Leben – und ist die Grundlage der Musik. Wie der Puls des menschlichen Herzens schlägt auch der Puls der Musik gleichmässig, aber niemals statisch. Er ist nicht mechanisch, sondern ermöglicht interpretatorische Freiheit. Er reagiert auf unsere Emotionen und Erfahrungen, sein Tempo ändert sich ständig, aber er ist auch der Garant für Ausgewogenheit und pumpt das «Blut» der Musik in all ihre Verästelungen.

  • … das Festivalthema « Time and Space »

    Warum dieses Thema? Warum dieses Programm? Musik ist Zeit im Raum, ist Tonhöhe und Akustik. Mit «Time and Space» reisen wir durch die Zeit, verbinden die Jahrhunderte und ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. In allen Konzerten wird es Spuren von Bach geben, dem vielleicht modernsten aller Komponisten. Während manchmal das, was gerade neu komponiert wurde, am romantischsten klingt. «Time and Space» erlaubt uns, Musik in einer möglichst weiten Perspektive zu erkunden. Und zwischen den unterschiedlichen Stilen zu springen. Es ist ein Spielplatz der Ideen.

  • … Olafur Eliasson

    Olafur Eliasson ist eine grossartige, eine irgendwie explosive Persönlichkeit. Er wird meine musikalische Deutung der Goldberg-Variationen in Echtzeit visualisieren: Das wird ziemlich futuristisch, ein schöner Clash von Ideen, Kunstformen und kreativen Köpfen. Olafur denkt in seinem Schaffen unglaublich musikalisch, und das macht unsere Zusammenarbeit so produktiv.

  • … die «  Goldberg-Variationen» in der Piuskirche

    Die Goldberg-Variationen sind für mich reine Architektur – deshalb eignen sie sich so gut für eine Visualisierung. Die wunderschöne Piuskirche in Meggen mit ihren dünnen, lichtdurchlässigen Marmorwänden ist ein intimer Raum, einfach perfekt für Bachs Musik und diese neue Art von Erfahrung. Ich verspreche mir davon ein sehr persönliches, intimes und aufregendes Erlebnis. Bach ist die Zukunft.

  • . . . Thomas Adès

    Für mich ist Thomas Adès einer unserer grössten lebenden Komponisten und Künstler. Er wird einen Platz in der Musikgeschichte gleich neben den Giganten der Vergangenheit einnehmen. Manchmal ist es schwierig, das zu verstehen, wenn man locker mit ihm zusammensitzt und ein Glas Bier trinkt …

  • … « klassische » und zeitgenössische Musik

    Jede Musik ist zeitgenössische Musik, wenn wir sie heute spielen. Bach und Beethoven können genauso zeitgemäss klingen wie György Ligeti, György Kurtág oder Alban Berg. Ich denke viel über diese Begriffe nach und hatte schon immer ein kleines Problem mit dem Wort «Klassik». Es scheint in eine ferne Vergangenheit zu führen, bis zu den Griechen und den Römern. Wenn ich Bach oder Brahms spiele, fühle ich mich aber überhaupt nicht «klassisch», sondern ganz heutig und lebendig.

  • … das KKL Luzern

    Als ich zum ersten Mal nach Luzern kam – das war 2019 – und das KKL sah, war ich vor allem von diesem Dach fasziniert, das überhaupt nicht enden will und weit in den See hineinragt. Ich fragte mich: Bilde ich mir das nur ein? Kann so ein Dach überhaupt in der Luft schweben? Und ich malte mir aus, wie viel unterschiedliche Musik unter diesem Dach Platz findet. Oder auch, wie viel Schutz es dieser Musik bietet.

  • … Island

    In Island ist vieles anders. Zum Beispiel denkt hier niemand darüber nach, wie die Musik genannt wird: ob es Klassik ist oder Rock oder Pop oder Folk oder Indie oder Techno. Wir arbeiten über die verschiedenen Genres und Kunstformen hinweg zusammen. Und über die verschiedenen Standpunkte. In unserem Parlament gab es tatsächlich einen Chor der Abgeordneten: Den lieben langen Tag haben die Leute politisch gestritten, und am Abend trafen sie sich, um miteinander zu singen … Früher hatten wir in Island donnerstags kein Fernsehen. Deshalb veranstaltete das Iceland Symphony Orchestra genau dann seine Konzerte. Und noch etwas, ob man es glaubt oder nicht: Bis in die späten 1980er Jahre herrschte bei uns ein Bierverbot … Das heutige Island allerdings könnte moderner nicht sein.

Olafur Eliasson über ...

  • ... «The Shadows of Sounds And the Unforeseeable Shapes of Love»

    Für Víkingur Ólafssons Aufführung der Bach’schen Goldberg-Variationen in der Piuskirche in Meggen werde ich eine temporäre, ortsspezifische Arbeit entwickeln, die in einen Dialog mit der Kirchenarchitektur und der Musik tritt. Sie untersucht die Beziehungen zwischen Raum, Licht und Klang, um das Kirchengebäude zu aktivieren und das Konzert über den konkreten Moment und Ort seines Entstehens hinaus in die Welt zu tragen.

    Schon lange fasziniert mich die Möglichkeit, Klangwellen in Licht zu übersetzen und so synästhetische Erfahrungen zu schaffen, um die Grenzen beider Medien zu überschreiten. In The Shadows of Sounds and the Unforeseeable Shapes of Love setze ich diese Erkundungen fort. Dabei interessieren mich besonders die Auswirkungen von Echo und Nachhall auf unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum.