Tonkünstlerfest 2010: Konzert mit dem Ensemble für Neue Musik der Hochschule Luzern – Musik und «Alpini Vernähmlassig» (Ensemble für Volksmusik der Hochschule Luzern – Musik) © Priska Ketterer / Lucerne Festival
Tonkünstlerfest 2010: Konzert mit dem Ensemble für Neue Musik der Hochschule Luzern – Musik und «Alpini Vernähmlassig» (Ensemble für Volksmusik der Hochschule Luzern – Musik) © Priska Ketterer / Lucerne Festival

Gedanken zum Schweizerischen Tonkünstlerverein anlässlich der Ausstellung «Im Brennpunkt der Entwicklungen. 125 Jahre Schweizer Tonkünstlerverein» bei Lucerne Festival Forward 2025
von Mark Sattler, Dramaturg Lucerne Festival Contemporary

2010 und 2016 kooperierte der Schweizerische Tonkünstlerverein (STV) mit Lucerne Festival bei der Ausrichtung der jährlichen Tonkünstlerfeste. Diese Tonkünstlerfeste gehörten zu den «attraktivsten Aktivitäten und Förderinstrumenten des STV». Eine detaillierte Einschätzung ihrer Bedeutung und eine Liste der Tonkünstlerfeste von 1975 bis 2017 ist auf der informativen Website «Im Brennpunkt: 125 Jahre Schweizerischer Tonkünstlerverein» zu finden. Eine auch für Lucerne Festival grosse Unternehmung war das zweitägige «Uraufführungs- und Tonkünstlerfest» im Rahmen des Sommer-Festivals 2010. Das unter dem Titel «(z)eidgenössisCH» lancierte, prall gefüllte Wochenende wurde folgendermassen angekündigt:

Für das Wochenende vom 11. bis 12. September wird Luzern zum Zentrum der Neuen Musik: 24 Uraufführungen finden statt; es gibt ein Sinfoniekonzert (basel sinfonietta), Ensemblekonzerte (u.a. mit dem Collegium Novum Zürich), Kammermusik- und Solokonzerte, ein Kirchenkonzert, ein Théâtre Musical sowie Improvisationen und Installationen. So vielfältig klingt die Gegenwart: eben «(z)eidgenössisCH».

Die damalige Publikation zu dieser Veranstaltung ist hier einzusehen. Sie zeigt, welch grosse Anzahl an Schweizer Protagonist*innen aus allen Generationen und verschiedenen Genres vertreten war. Das Ziel war, ein breites Spektrum der Schweizer Neue-Musik-Szene abzubilden. Neben zahlreichen Auftragswerken und Uraufführungen gab es Klanginstallationen und Konzerte, in denen verschiedene Improvisator*innen (darunter auch Komponist*innen) aufeinandertrafen.

Schon damals war es in den Diskussionen mit dem Tonkünstlerverein (geleitet von Matthias Arter) und auch der tatkräftigen Unterstützerin Pro Helvetia – Thomas Gartmann war dort der Neue-Musik-Mann – kniffelig: Sagt man zu einem Kümstler, einer Kümstlerin ja, sagt man gleichzeitig zu vielen anderen nein. Die Ambition, die lebendige Heterogenität und Diversität der Schweizer Szene abzubilden, tat ihr Übriges. Was wählte man warum aus? Welche Kriterien sollte man anlegen? Das war schon damals schwierig, denn die Differenzierung, die Ausbildung verschiedenster Neue-Musik-Biotope, die sich gerne fern institutioneller Radare bildeten, war weit ausgeprägt – und das hat sich bis heute noch verschärft. Schwierig zu definieren, was damals wie heute unter zeitgenössische Musik oder Neue Musik fällt – wo doch die Grenzen aufgebrochen sind, verschiedene Genres ineinanderfliessen.

Jede Institution bildet ein Profil, eine Identität aus. Blicke ich zurück auf die Zusammenarbeit mit dem Tonkünstlerverein, spürte ich die dortigen Spannungen: Wie schwierig es war, die vielfältigen, heterogenen und überaus individualistischen Mitglieder des Tonkünstlervereins unter einen Hut zu bringen. Genau diese Schwierigkeit führte dann vielleicht zur Auflösung dieser traditionsreichen Institution und ihrer Überführung in die Plattform «Sonart» (die weit von der Unternehmung entfernt ist, «Tonkünstlerfeste» zu veranstalten). Der Tonkünstlerverein war ein grosses nationales Netzwerk, das, konfrontiert mit Transformationsprozessen, ein neues Profil gesucht – und nicht gefunden hat. Bei aktuellen, netzwerkbasierten Festivals wie Musikfest Bern oder Sonic Matter in Zürich und nicht zuletzt bei Lucerne Festival Forward sehe ich es als Qualität und Vorteil, dass eine jeweils wechselnde Kurator*innengruppe die Fäden zieht und häufig lokale, also kleine und bewegliche Netzwerke miteinbezieht. So entstehen automatisch diverse Programme, die vor Ort verwurzelt sind. Dieser Ansatz ist erfolgsversprechender, als nationale Tonkünstlerfeste zu veranstalten. Denn sie sind, so scheint es mir zumindest, aus der Zeit gefallen; und so beobachte ich auch in anderen Ländern, dass im Moment nicht die Zeit für kulturelle nationale Aufschläge ist. So grossartig das «(z)eidgenössisCH»-Festival auch war: Es war wohl das letzte grosse in seiner Art.

125 Jahre Schweizerischer Tonkünstlerverein bei Lucerne Festival Forward 2025